In den letzten anderthalb Jahren seiner Gottinger Lehrtatigkeit behandelte Barth erstmals das, was sein Lebensthema werden sollte: Er trug in einem dreisemestrigen Zyklus eine abgeschlossene Dogmatik vor. Sie so zu nennen war ihm als Honorarprofessor fur reformierte Theologie verwehrt. Der auf Calvin anspielende Ersatztitel, den die Gesamtausgabe zur besseren Unterscheidung von der Christlichen und der Kirchlichen Dogmatik ubernimmt, verhullt eher das Anliegen dieses sich seiner Kuhnheit bewussten Versuchs, gegenuber der ...
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In den letzten anderthalb Jahren seiner Gottinger Lehrtatigkeit behandelte Barth erstmals das, was sein Lebensthema werden sollte: Er trug in einem dreisemestrigen Zyklus eine abgeschlossene Dogmatik vor. Sie so zu nennen war ihm als Honorarprofessor fur reformierte Theologie verwehrt. Der auf Calvin anspielende Ersatztitel, den die Gesamtausgabe zur besseren Unterscheidung von der Christlichen und der Kirchlichen Dogmatik ubernimmt, verhullt eher das Anliegen dieses sich seiner Kuhnheit bewussten Versuchs, gegenuber der religionistischen Glaubenslehre des Neuprotestantismus einen offenbarungstheologischen Neuansatz zu wagen. Der 1985 veroffentlichten Prinzipienlehre (1924) folgt in diesem zweiten Band der erste Teil der inhaltlichen Ausfuhrung. Die Disposition nimmt manche beruhmte Entscheidungen der Kirchlichen Dogmatik vorweg, etwa die prominente Stellung der Praedestinationslehre als Herzstuck der Gotteslehre. Der Gotteslehre ist, anders als spater, auch die Schopfungs- und Vorsehungslehre integriert, wahrend eine besonders originell konzipierte Lehre von den Engeln die Anthropologie eroffnet. Stofflich schliesst sich Barth eng an die von ihm in dieser Zeit gleichsam entdeckte altprotestantische Uberlieferung an. Es ist spannend zu beobachten, wie diese mit seiner eigenen Wort-Theologie zu einem neuen Ganzen verschmilzt. Der Gottinger Vorlesungszyklus kann als die eigentliche, bisher nicht veroffentlichte Dogmatik der dialektischen Theologie gelten. Karl Barth (1886-1968) studierte Theologie in Bern, Berlin, Tubingen, Marburg und war von 1909 bis 1921 Pfarrer in Genf und Safenwil. Mit seiner Auslegung des Romerbriefes (1919, 1922) begann eine neue Epoche der evangelischen Theologie. Dieses radikale Buch trug ihm einen Ruf als Honorarprofessor nach Gottingen ein, spater wurde er Ordinarius in Munster und Bonn. Er war Mitherausgeber von Zwischen den Zeiten (1923-1933), der Zeitschrift der Dialektischen Theologie. Karl Barth war der Autor der Barmer Theologischen Erklarung und Kopf des Widerstands gegen die Gleichschaltung der Kirchen durch den Nationalsozialismus. 1935 wurde Barth von der Bonner Universitat wegen Verweigerung des bedingungslosen Fuhrereids entlassen. Er bekam sofort eine Professur in Basel, blieb aber mit der Bekennenden Kirche in enger Verbindung. Sein Hauptwerk, Die Kirchliche Dogmatik, ist die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts.
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